Wozu Sex?

...titelte vor einiger Zeit der SPIEGEL. So hatte ich mich dem noch nie genähert, waren meine Fragen zum Thema Sex doch mehr auf ein unbestimmtes wann und mit wem eigentlich gerichtet. Nur der Bruchteil einer Sekunde war vergangen, da klickte ich mit der Maus das unverschämt klein abgebildete Titelbild auf der SPIEGEL-Online Seite an. Ganz sicher kann man nicht sein, aber die Vermutung liegt nahe, dass mein Blick mehr mittig auf das splitternackte Pärchen als auf die lustig drum herum kopulierenden Tiere gerichtet war. Einen weiteren Bruchteil einer Sekunde war nicht ganz geklärt, ob ich abends auf dem Nachhauseweg am Kiosk halt machen würde, um den SPIEGEL zu kaufen. Dann aber las ich den Untertitel: „Das größte Rätsel der Evolution.“ Ich entschied, es nicht zu tun.

Es sollte etwas dauern, bis ich über den Umweg der Vermehrung die Verbindung zwischen Sex und Evolution herstellen konnte. Lässt sich der Koitus doch im Allgemeinen mehr dem Bereich aktive Freizeitgestaltung zuordnen, als dass man gleich mit jedem mal die Evolution in die eine oder andere Richtung lenken möchte.

Ich fing an, mich dunkel an die Schaffung genetischer Variation zu erinnern. War es nicht ein unschätzbarer Vorteil immer wieder neu zu rekombinieren, um der Heimtücke der Vogelgrippe als Art zumindest in Teilen zu entkommen? Sollten wir uns jetzt alleine Vermehren? Klonen? Haben nicht Generationen von Frauen und Männern es alleine versucht, und mussten sie nicht allesamt feststellen, dass weder der Bauchnabel ein geeignetes Empfänger- noch der Finger ein funktionstüchtiges Spenderorgan ist?

Ist denn all dies niedliche Getier nicht Beweis genug, dass das Prinzip so schlecht nicht ist? Dem SPIEGEL aber schien es zu brutal, zu schmutzig, zu körperbetont - wie dem Kegler das Fußballspiel. Sollen wir nun nicht mehr gemütlich im stillen Kämmerlein aufeinander rumhoppeln? Gelegentlich fällt das Gehoppel vielleicht auch etwas wilder aus, sei es aus einer inneren Neigung heraus oder weil übermäßiger Alkoholkonsum den Abschluss zu lang hinauszögern will. Sollen wir zukünftig bei leisester Erregung auf offener Straße feinsten Pollenstaub aus den Nasenflügeln prusten und vom Wind in alle Richtungen verbreiten lassen, wie es der windbestäubende Fremdbefruchter im Pflanzenreich bevorzugt? Das wusste die Frauenbewegung erfolgreich zu verhindern: Viele junge Damen hätten - rein dem Zufall überlassen - Kinder von Männern auszutragen und großzuziehen, von denen sie sich sonst nicht einmal Blumen hätten schenken lassen.

So aber darf jeder frei wählen und kann an der Evolution partizipieren, indem den eigenen Vorlieben entsprechende Partner für den Akt der Begattung gewählt werden. Jeder Einzelne mag die Einschränkung der freien Wahl, die dadurch entsteht, dass Auserwählte die Erwähltheit nicht zwingend annehmen müssen, mehr oder minder häufig bedauern. Gerade wir spindeligen Männer, deren Knochen nur mit einem zarten Hauch feiner Muskulatur überzogen sind, die so gerade ausreichen mag, eine schwere Feuerschutztür zu öffnen, fühlen uns der fitnessstudiogestählten Übermacht nur allzu häufig ohnmächtig ausgeliefert und müssen auf gelegentliche geschmackliche Verirrungen und erfolgreich vorgetäuschte Feinsinnigkeit, innere Werte oder gar Intelligenz hoffen. Die Welt der partizipativen Evolution und mitunter auch die Politik mögen uns lehren, dass es mit der Wahl durchaus in die falsche Richtung tendieren kann, aber das ein oder andere positive Produkt freier Wahlen lässt sich doch nicht leugnen.

So, musste ich feststellen, nachdem ich den Artikel über Klick & Buy käuflich erwarb, sieht es denn auch der SPIEGEL. Da mag dieser sein Ziel erreicht haben, indem er Jahrzehnte alte Weisheiten aus dem Nordamerikanischen aufgriff und sich die den Verkauf fördernde Wirkung nackter, ineinander verhakelter Körper zunutze machte. Da haben wir nun wenig gelernt und würden uns doch für die nächste Verkaufsoffensive eine mehr soziologisch psychologische Abhandlung des Themas wünschen, die im Falle zufälligen Singledaseins und erfolglosen Werbens auf nächtlichen Ausflügen uns am Ende gemütlich auf dem Sofa sitzend "wozu eigentlich" fragen und eine Zeitung aufschlagen lässt.

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